Sinn oder Unsinn von Gefahren-Übungen

Forum - Unfallprävention
  • Chris schrieb:

    "Man kann es so sehen: Nur durch staendiges Ueben aller moeglichen Flugzustaende und kritischen Situationen ist man auch wirklich in der Lage, in einer solchen Situation entspr. zu handeln.
    Oder man sieht es so: Dieses staendige Ueben ist natuerlich mit hoeheren Risiken verbunden. Die Gefahr, dass dabei was passiert ist groesser, als die Gefahr in eine dieser geuebten Szenarien zu geraten und dann alles falsch zu machen. Es passiert ja wirklich mehr als genug bei dieser ganzen "Ueberei"....
    Ich habe darauf fuer mich noch keine Antwort gefunden, aus der ich eine entspr. Handhabe fuer die Zukunft ableite. "

    @ Lucky und Chris:

    Ich fliege jetzt das 4. Jahr und hab bald meine 500 Flugstunden zusammen. In dieser Zeit hatte ich die eine oder andere Begebenheit, bei der mein Schutzengel eingreifen musste. Aus dieser Erfahrung hat sich meine Einstellung gefestigt: es reicht nicht, viel zu fliegen um sicher zu sein. Es braucht eigenes kritisches Hinterfragen und bei Zwischenfällen eine ehrliche Aufarbeitung der Fakten, besonders auch die der persönlichen Beteiligung und der Alternativen.

    Und es braucht das immerforte Training aller Flugmanöver. Einige trainiert man durch blosses Fliegen, aber einige Situationen. die man eigentlich nicht erleben will, übe ich gesondert. Warum? Weil in Grenzsituationen der Workload steigt und eventuell kaum Zeit bleibt in Ruhe überlegen zu können. Dazu kommt der Tunnelblick, der zu Fehlentscheidungen führen kann. Je mehr ich mich auf antrainierte Verhaltensweisen verlassen kann, desto geringer der Workload und umso leichter bestehe ich die Anforderungen unter Stress.

    Die Übungen müssen nicht zwangsweise das Risiko erhöhen, wenn auf die Bedingungen geachtet wird. Stall-Übungen lassen sich in sicherer Höhe durchführen, Ziellandungen im Leerlauf anstatt den Motor abzuschalten usw..

    Vieles lässt sich alleine üben, für manche Übungen ist es besser ein FI neben sich zu haben. Je nachdem. Ich war deshalb sehr froh über die PPL-Ausbildung in den USA. Dort gehört der Nachtflug ebenso zur Ausbildung wie das Üben in IMC zu fliegen und sich im Instrumentenflug heruntersprechen zu lassen. Angenommen, ich hätte dieses Training nicht, dann hätte ich mich doch im Ernstfall wie zu Beginn dieser Übungen verhalten und fast jeden Fehler gemacht, der möglich wäre. Das ist jetzt anders. Mich macht das subjektiv sicherer.

    Ob ich deswegen in einer entsprechenden Situation richtig reagieren würde? Wer weiss das schon, da spielen noch eine ganze Reihe anderer Faktoren ein Rolle mit. Aber ich habe mich vorbereitet und werde das auch immer von Zeit zu Zeit auffrischen. Denn auch das ist eine meiner Erfahrungen mit mir selbst: gelerntes verblasst mit der Zeit, was nicht immer wieder geübt wird "sitzt" auch nicht mehr. Wie gesagt, selbst am eigenen Verhalten erfahren.

    Es kann sehr gut sein , und manches spricht IMHO dafür, dass einige der Unfälle von erfahrenen Piloten genau darauf zurückzuführen sein können. Viel zu fliegen, aber mit immer denselben Anforderungen, heisst nicht, dass man schon "aus dem Handgelenk" das notwendige Manöver im geforderten Moment richtig fliegt. Neben einem "erfahrenen" Piloten zu sitzen und zu sehen, wie er unter erhöhtem Workload beginnt Fehler zu machen bestärkt mich in meiner Meinung.

    Schwierige und gefährliche Flugzustände muss man üben, um sie möglichst nicht zu erleben.

    Gerd

  • Wie sieht denn eigentlich die Entwicklung bei Flugsimulatoren aus? Ich habe nur von einer Flugschule gehört, die einen UL Simulator zur Verfügung stellt. Wären solche Simulatoren (möglichst mobil) nicht eine Aufgabe für unsere Verbände? Die könnten dann jeweils 1-2 Wochen an einem Platz stehen und man könnte sich ausbilden lasse - und eben die Reaktion trainieren, die man nicht im Flieger testen möchte (Maschinenbrand, Strukturverlust).

    Bei "Großen" funktioniert das gut - das müsste doch auch in der "Breite" oder "im Kleinen" mehr möglich sein?

    Hat hierzu einer mehr bzw.  aktuelle Erfahrungen?

    Bernhard

  • Gefahrentraining oder auch annormale Fluglagen sind meiner Meinung nach das wichtigste was man bis zum Umfallen üben muss.

    Ich hab (glaube ich)  schon mal meinen Fluglehrer zitiert.

    "Wenn ich dich Nachts wecke und frage wie du Trudeln ausleitest, und du zögerst  mit der Antwort fliegst du morgen nicht."

    Nun gut, es war mein Segelfluglehrer.

    Dieses "immer wieder üben in Teorie und Praxis" hat mir vor Jahren durch gelernte Reflexe das Leben gerettet.

    Im Ernstfall reflexartig zu reagieren kann die Sekunden die sonst fehlen würden retten.

    Wer z.B.  sein UL nie mit Motor "ganz" aus gelandet hat sollte es nachholen, bald...

    Auch Trudeln sollte ein UL'ler ausleiten können.

    Nur meine pers. Meinung.

    Rüdiger

  • Hi Gerd

    Vielen Dank fuer Deine Gedanken.

    Wirklich weitergebracht hat es mich aber nicht. Vielleicht zu meinem Hintergrund: Ich fliege nun schon ueber 1000 Stunden seit knapp 20 Jahren. Angefangen habe ich damals mit grosser Flugangst und diese Angst hat mich nie ganz losgelassen. Ich wuerde mich als Schisser bezeichnen. Das hat zur Folge, dass ich wirklich extrem langweilig fliege, Fuer mich ist ein Flugzeug zum Transport von a nach b da, ab und an auch mal zu einem Genussflug in die Berge.
    Flugstil ist straight and level, alles sachte, alles gemuetlich. Nie wuerde ich bei einem einsteigen, von dem ich weiss, dass er oben "Sperenzchen" macht, sowas hasse ich wie die Pest. Eben Schisser...
    Die Folge von all dem ist, dass ich ausser in der Ausbildung und bei der Einweisung auf mein jetziges Flugzeug noch nie auch nur in der Naehe eines Stall war. Geschweige denn ein Stall, der ueber das uebliche Piiiiiiiep-Nachdruecken hinausgeht. Also sowas wie Steilkurve bis zum Abkippen zuziehen (das, was die Leute in der Praxis dann tatsaechlich umbringt).

    schrieb:
    Mich macht das subjektiv sicherer.
    Das ist ein interessanter Gedanke. Und genau hier denke ich liegt der Hund auch begraben, wenn man sich die Flugunfaelle mal etwas anschaut. Ohne es jetzt genau ausgewertet zu haben kommt es mir so vor, als ob in der grossen Mehrheit sehr erfahrene Piloten verungluecken. Sehr oft Fluglehrer. Oft auch gerade bei solchen Uebungen. Die VL-3 letztens war anscheinend auch so eine Demonstration des Ueberziehverhaltens, was nach ungezaehlten Malen nun halt mal schief ging. Die Akten sind voll von sowas.

    Die unerfahrenen Piloten trifft es scheinbar eher seltener. Ich glaube auch die "Schisser" sind eher wenig vertreten. Kann alles taeuschen, mir kommt es halt so vor.

    Bei mir draengt sich der Gedanke auf, dass gerade dieses Gefuehl der "Unverwundbarkeit", des "alles im Griff habens" und ich kenne den Flieger in jeder Situation aus dem eff eff die Leute umbringt.


    Chris

  • So wie Chris das beschrieben hat, zähle ich mich eindeutig zu den "Schisser". Ich übe keine Stalls, stattdessen vermeide ich in solche Grenzsitutionen zu kommen. Zielandungen übe ich sozusagen bei jeder Landung in dem ich mir bei der Platzrunde einen Aufsetzpunkt bestimme. Ich verzichte darauf den Motor einfach abstellen um meine Stressresistenz zu testen. Meinen Schein habe ich erst seit 3 Jahren und knapp 180 Stunden im Flugbuch. Bis jetzt bin ich von ernsten (beinahe)Zwischenfällen verschont geblieben. Das ärgste erlebte ich vor knapp 2 Monaten als mich beim 20 Knoten Seitenwind bei der Landung, ich war schon beim Auschweben, zusätzlich ein Böe von hinten erwischte. Ich schätze gerettet hat mich meine Schisser Mentalität die mich instinktiv zum durchstarten zwang. Fairneshalber muss ich zugeben, dass ich genug Gelegenheiten hatte beim Flugurlauben an der Nordsee Seitenwindlandungen zu "üben". Mir ist bewusst, dass ein Risiko von, ich würde es nennen, Verkettung von unglücklichen Umständen beim Fliegen vorhanden ist. Lässt sich sowas üben? Wie der jüngste tragische Beispiel in Dolmar zeigte wahrscheinlich nicht. So ironisch sich das anhört durch meine Schisser Mentaltät fühle ich beim fliegen sicherer und entspannter. Aber mir ist bewusst, dass es andere gibt die, die nötige Sicherheit durch regelmässige Stall oder  Notlandeübungen meinetwegen mit abgestellten Motor gewinnen. Welche Variante die sicherere ist, ist so individuell wie wir alle

  • Chris_EDNC schrieb:
    Die Folge von all dem ist, dass ich ausser in der Ausbildung und bei der Einweisung auf mein jetziges Flugzeug noch nie auch nur in der Naehe eines Stall war. Geschweige denn ein Stall, der ueber das uebliche Piiiiiiiep-Nachdruecken hinausgeht. Also sowas wie Steilkurve bis zum Abkippen zuziehen (das, was die Leute in der Praxis dann tatsaechlich umbringt).
    Hi Chris,

    dass Du Dich als "Schisser" bezeichnest ist sympathisch. Gegen Vorsicht ist absolut nichts zu sagen. Allerdings ist mehr als Vorsicht, nämlich Angst, kein guter Ratgeber weil er Stressreaktionen auslöst. Und anders als am Boden muss man in der Luft manchmal nicht vorsichtig und langsam sondern beherzt zugreifen.

    Den Stall würde ich üben. Im überzogenen Bereich kann man sogar Kurven fliegen, links- wie rechtsherum. Da kann man sich mit einem guten Lehrer in sicherer Höhe herantasten. Gehörte auch zum Ausbildungskatalog in den USA. Gefühlte 10 Minuten im überzogenen Zustand Kurven fliegen, schön sachte mit viel Gefühl. Ich habe mich in der Prüfung so wohl gefühlt wie selten zuvor. Warum? Weil ich prima vorbereitet worden bin.

    Und weil ich nicht verstehen konnte, wie man im Landanflug abstürzen kann, habe ich die Situation in der Höhe mal nachgestellt. Das Ergebnis hat mich sehr sensibel gemacht. Die Maschin war innerhalb einer halben Sekunde über die Fläche herumgerissen und im Sturzflug. In einer Höhe unter 600-700 ft keine Chance und das auch nur wenn Du sofort richtig reagierst. Das Gute dabei ist aber: das Flugzeug zeigt die Nähe des Stalls an. Diese Signale sollte man kennen und auch wie man dann das Querruder bewegen kann, bzw nicht bewegen darf. Das kann man üben wie gesagt. Nicht um solche Situationen fahrlässig herbeizuführen, sondern um sie zu vermeiden.

    Dein gefühlter Eindruck, dass es "erfahrene" Piloten eher trifft teile ich auch. Meine Begründung dazu hatte ich schon geliefert.

    Gerd

    p.s.: Auch dieses Wochenende bringt wieder schlechtes Flugwetter. Ich habe genervt deswegen heute morgen 3 Tage London gebucht. Allerdings lasse ich die Jungs von British Airways fliegen und geniesse meinen Kaffee derweil. Man muss auch gönnen können .....

  • Chris, du kennst meine Einstellung zum Thema, daher will ich nicht alle meine Argumente nochmal hier breittreten.

    Nur noch soviel: das Beherrschenlernen grenzwertiger Flugzustände (natürlich in sicherer Höhe) bewirkt, dass man nicht so schnell in eine Angststarre verfallen kann. Diese entsteht durch einen starken Adrenalin-Schub, der sich bei manchen durch Handlungsunfähigkeit bemerkbar macht. Es gibt auch den "Fighter-Typ", dessen Aktivität damit sogar angestachelt wird. Das herauszufinden, war mir als Fluglehrer ein großes Anliegen, denn damit konnte ich die Anforderungen an die Schüler individuell besser anpassen.

    Um den "Fighter" machte ich mir bei weitem weniger Sorgen, die anderen mussten dazu angehalten werden, sich durch besonders viel Übung den notwendigen Sicherheitslevel anzueignen.

    Was aber durch gar nichts zu ersetzen ist: so jung wie möglich zu beginnen, denn dann hat man die größeren Chancen, mit der Zeit das Fliegen ohne Stress (auch ohne unterschwelligen Stress) genießen zu können. Ich sagte dazu: man fühlt sich dann in der Luft so gut, wie der Fisch im Wasser.

  • Ich informiere mich über Unfälle, da ich hoffe, dass  sich ein nachlässiges Verhalten nicht bei mir einschleicht. Auch interessieren mich ungewöhliche Situationen die zu plötzlichen Problemen geführt haben, die man erst gar nicht auf dem Radar hat.   Z B Wer übt schon wenn plötzlich die Tür oder die  Haube offen ist.  Wer übt wenn er plötzlich in der Wolke ist?  

    Die Stall-Übungen in sicherer Höhe mit FI daneben bringen mir wenig. Ich war in Hunderten von Flugstunden noch nie in der Nähe eines Stalls oder einer Trudel-Chance.  (liegt vielleicht auch am Muster:) 

    Werde ich aber noch die Kugel bei  Minimalfahrt beachten wenn die Latte steht und ich aus dem Queranflug bei der Notlandung in das Endteil eindrehe und  in den Acker gehe? Am Platz zu Hause bekomme ich das als Sicherheitslandung hin, aber in unbekanntem Gelände, in der Notsituation?   Ich weiß es nicht und werde es auch nicht vorher üben können/ wollen.  

    Wann ziehe ich den Schirm?  Bei Struktur- Versagen klar. Werde ich dann auch daran denken wenn ich da oben dann rumgeschleudert werde das der Motor auch vorher auszuschalten ist ?   

    Erfahrene FI s  ( und auch viele sehr erfahrener Flieger) neigen zu einer  höheren Risikobereitschaft. Sieht  man immer wieder. Auch beim Thema was ist bei marginalem Wetter noch fliegbar. 

    Aber der "Profi" ist auch nur ein Mensch. Kommt es  dann doch mal zu einem Fehler ist dieser meist fatal. Dann heißt es immer wieder wie konnte es nur einem so erfahrener Pilot passieren.Blöd wenn man dann auch noch mit drin sitzt.  In den Unfallberichten sind mir da zu viele  FIs und "Erfahrene "  zu finden. ( wir hatten hier auch mal eine Unfallstatistik, finde sie nicht mehr) 

     Viele "Schisser" leben da einfach länger. Obwohl dem Flieger ja eher andere Atribute zugeschrieben werden. 

  • Wasnichalles schrieb:
    Chris, du kennst meine Einstellung zum Thema
    Yup :)

    Wenn es sich ergibt, fliegen wir mal ′ne Runde.


    Chris

  • Sehr gute Diskussion! Danke - v. a. an Gerd für die Erstellung des threads!

    VG Roland

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